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"Wir spüren den Hunger auf Kunst und Kultur"

Seit Beginn des Jahres leitet Alfred Kellner den Geschäftsbereich Kultur und Bildung der Landeshauptstadt. St. Pölten Konkret bat den Absolventen der Universität für Musik und darstellende Kunst sowie der Wirtschaftsuniversität Wien zum Gespräch über neue Schwerpunkte, das Stadtfest und das Kulturjahr 2024.
Michael Koppensteiner im Gespräch mit Alfred Kellner, sitzend, dazwischen ein runder Tisch, im Hintergrund eine farbig gestaltete Plakatwand. (Foto: Arman Kalteis)
Chefredakteur Michael Koppensteiner im Gespräch mit Alfred Kellner. (Foto: Arman Kalteis)

St. Pölten Konkret: Sie haben den gesamten Bewerbungsprozess zur Europäischen Kulturhauptstadt 2024 hautnah miterlebt. Was bleibt von der Bewerbung?
Alfred Kellner: Schon die Gründung der gemeinsamen Gesellschaft ist als historisches Ereignis zu werten – im Sinne der Zusammenarbeit zwischen Stadt und Land. In dieser Form und Intensität hat es das vorher nicht gegeben. Die Entscheidung der Jury kennen wir. Viele Dinge sind durch diesen Bewerbungsprozess in Fluss gekommen und es sind viele Bereiche der Stadt aus einem neuen Blickwinkel betrachtet worden – das betrifft nicht nur den kulturellen oder sozialen Bereich, sondern auch die Stadtplanung.
Stadt und Land haben am gemeinsamen Projekt festgehalten.
Die Beschlüsse haben immer auch einen Plan B vorgesehen. Es wurde eine unglaublich breite Infrastrukturliste beschlossen: Allen voran das Kinderkunstlabor, das zusätzlich zur spannenden Architektur und dem Park ein bahnbrechendes Konzept verfolgt. Teil des Gesamtprojektes sind aber auch der Domplatz, die Revitalisierung der Synagoge samt Betriebskonzept, der Sonnenpark mit LAMES, wo ein besonderes Naturerlebnis in Verbindung mit urbaner Kultur und universitärer Anbindung geboten wird. Es gibt auch Maßnahmen, die den Klangturm und das Festspielhaus betreffen und nicht zuletzt – wir sitzen ja hier im Gebäude – auch das Stadtmuseum. All diese Maßnahmen werden bis 2024 umgesetzt. Im Plan enthalten ist zudem ein Programmbudget von 16 Millionen Euro.
Es konnte mit Christoph Gurk ein namhafter künstlerischer Leiter gefunden werden und auch die Geschäftsführung steht fest. Wie beurteilen Sie die Mischung, die hier gefunden wurde?
Mit Christoph Gurk haben wir einen künstlerischen Leiter, einen erfahrenen Kurator und Dramaturg der international gut vernetzt ist und bei dem ich mich schon sehr auf eine spannende Zusammenarbeit freue – und mit Angelika Schopper haben wir als operative Geschäftsführerin eine versierte Kulturmanagerin gefunden, die das Festival Klangspuren leitete, bereits im Festspielhaus tätig war und aus dieser Zeit die Protagonisten, die Vereine und die Häuser kennt.
War der Achsengedanken zwischen Innenstadt und Kulturbezirk auch eine zentrale Überlegung bei der geplanten Bücherei am Tor zum Domplatz?
Der Domplatz wird künftig einen wichtigen Platz im Kulturgeschehen der Stadt einnehmen. Es war ein Glücksfall, dass wir als Stadt das bisherige Stammhaus der Oberbank erwerben konnten. Für die Stadtbücherei ist es schon deshalb ein enormer Gewinn, weil die doppelte Fläche bespielt werden kann. Wir haben die Chance, mehr als nur eine Bücherei umzusetzen und nach skandinavischem Vorbild innovative, vermittelnde Konzepte zu entwickeln. Es geht um das Buch, aber es geht auch um ganz neue Ansätze, den Menschen das Lesen näher zu bringen und die Bibliothek zu einem sozialen Treffpunkt zu machen. Darüber hinaus ist das Haus von enormer strategischer Bedeutung: Der Domplatz wird künftig verstärkt Spielstätte sein. Da war es eine wichtige Entscheidung, das Haus am Platz zu positionieren. Wir möchten einen offenen, freundlichen Eingangsbereich schaffen und damit zusätzliche Möglichkeiten für Lesungen, Veranstaltungen und Workshops bieten.
Von der nahen Zukunft zur Gegenwart: Die Pandemie und die damit einhergehenden Maßnahmen halten die Kunst- und Kulturszene bis heute fest im Griff. Wie kann eine städtische Kulturabteilung in dieser schweren Zeit unterstützen?
Der gesamte Bereich steht vor Herausforderungen, wie es sie noch nie gegeben hat. Als Kulturabteilung haben wir im vergangenen Jahr alle Förderungen und Subventionen ausbezahlt, auch wenn das ein oder andere Projekt schlussendlich nicht umgesetzt werden konnte. Das war für viele eine große Unterstützung. Wir haben auch Projekte entwickelt, die in dieser schweren Zeit umgesetzt werden konnten und die Künstlerinnen und Künstler zumindest auf eine virtuelle Bühne holen. Ich darf hier den vom Freiraum-Team initiierten STP-Sampler erwähnen, der in Kürze erscheinen wird und junge Musikerinnen und Musiker auf einem Tonträger vereint – und das in besonders wertiger Form als Doppel-Album auf rotem und gelbem Vinyl. Gleichzeitig wurde mit musik.stp eine gemeinsame Plattform für Musik aus St. Pölten geschaffen. Auch bei den Meisterkonzerten sind wir einen neuen Weg gegangen und haben die Bezahlung umgestellt. Das Abo kann gebucht werden, verrechnet wird im Nachhinein, wenn feststeht, wie viele Veranstaltungen stattgefunden haben. Es hat keine drei Tage gedauert, bis alle Konzerte ausverkauft waren. Man spürt auch hier den Hunger auf Kunst und Kultur.
Auch im Bereich Kunst im öffentlichen Raum hat man Akzente gesetzt. In einer Zeit, in der Kunst sonst nur sehr schwer konsumierbar war.
Wir durften trotz Pandemie Kunstprojekte unterstützen, die die Wahrnehmung und die Kommunikation von Kunst im öffentlichen Raum besonders verstärken. Ich möchte in Zukunft noch stärker auf dieses Medium setzen und Bereiche nutzen, wo wir Kunst und Kultur präsentieren können. Hier ist „Hippolyt und Töchter“ eine sehr spannende Herangehensweise, bei der Leerstehungen zu Ausstellungsflächen umfunktioniert werden. Ein besonderes aussagekräftiges Projekt der Gegenwartskunst, in Form von großformatigen Neonschriftzügen und großflächigen Zeichnungen, ist „In this together“, das wirklich in kürzester Zeit eine fantastische Umsetzung fand und auf zentralen Gebäuden der Stadt sichtbar wurde.
Wo sehen Sie Ihre ersten Handlungsfelder, wo liegen die Herausforderungen der Zukunft?
Einen Bereich habe ich mit der Entwicklung der neuen Stadtbücherei schon angesprochen. Ein weiteres Thema, das mir am Herzen liegt, ist Kultur niedrigschwellig zu vermitteln. Ich möchte mit einzelnen Projekten in die Stadtteile gehen und hier Begeisterung wecken. Damit greifen wir einen wesentlichen Punkt der Kulturstrategie 2030 auf, die auch dem Bewerbungsprozess entstammt. Unsere Arbeit fußt insgesamt auf drei strategischen Konzeptebenen – neben der Kulturstrategie haben wir das Konzept 2024 und die Landesstrategie als Leitlinien. Die Konzepte greifen gut ineinander, auch wenn es unterschiedliche Ausprägungen gibt. Ein weiteres besonderes und sehr wichtiges Projekt möchte ich nicht unerwähnt lassen, nämlich „Hunger auf Kunst und Kultur“. Bei dieser Initiative der Caritas werden zwei Prozent der Konzertkarten jenen Menschen zur Verfügung gestellt, die sozial nicht so gut gestellt sind und so trotzdem Kultur genießen können. Hier werden wir unseren Beitrag leisten. 2021 werden wir übrigens auch 200 Jahre Franz Schubert in St. Pölten mit vielen KünstlerInnen und Künstlern, Kunst- und Kulturvereinen sowie Institutionen feiern.
In den vergangenen Monaten haben Sie sehr eng und intensiv mit dem bisherigen Leiter Dr. Thomas Karl an den Projekten gearbeitet. Wie haben Sie diese Übergangsphase erlebt?
Es gab eine sehr geordnete Übergabe. Thomas Karl hat die Abteilung gut vorbereitet übergeben. Wir halten nach wie vor Kontakt und er steht mir bei Fragen mit Rat und Tat gerne zur Seite. Die Abteilung ist mit über 300 MitarbeiterInnen sehr groß.
Gibt es eine Altersgruppe, die Sie besonders im Fokus haben?
Es gibt mit dem Freiraum, der auch zu unserem Geschäftsbereich gehört, eine Einrichtung, die hervorragende Arbeit leistet. Hier wollen wir der jungen Szene einen noch besseren Zugang bieten und mit jungen KuratorInnen auch ein Signal setzen. Für die Altersgruppe bis 12 Jahren wird es künftig mit dem Kinderkunstlabor in Verbindung mit den Kindergärten und Schulen und der Musik- und Kunstschule ein Vermittlungsangebot geben, das es in dieser Form in keiner anderen Stadt in Europa gibt. So entsteht ein besonders niedrigschwelliger Zugang – mit diesem Haus mit spannender Architektur, mit innovativem Konzept und dem Park. Diese Mischung wird sehr ansprechend für das Zielpublikum, nämlich die Kinder. Wir können auch stolz sein, dass wir seit fünf Jahren Pilotstandort für die Musik- und Kunstschule sind und so wirklich das gesamte Spektrum bearbeiten können.
Ihre Ausbildung ist breit gefächert. Das Studium der Betriebswirtschaft, der Musik- und Finanzwissenschaft haben Sie sich als Musiker und Veranstalter finanziert.
Ich entstamme der Popular-Musik – elektronische Tasteninstrumente und Gesang sind meine Basis. Aus den Konzerten ist bald mehr geworden. Es hat sich angeboten, das Management zu übernehmen, Veranstaltungen zu organisieren und auch das Catering anzubieten. Zahlreiche Projekte konnten wir auch in St. Pölten umsetzen – vom Catering bei der Eröffnung des Festspielhauses, über die vielen Raves, die damals stattgefunden haben, bis hin zur Bühne der St. Pöltner am Stadtfest.
Wie stehen Sie einem Wiederaufleben des Stadtfestes gegenüber?
Mit der OpenAir-Bühne am Domplatz schaffen wir wieder neue Möglichkeiten. Zudem soll mit dem Bravissimo ein internationales Straßenkunst-Festival etabliert werden, das neue Wege geht und für die kulturinteressierte Bevölkerung ein breites Angebot bietet. Natürlich hatte das Stadtfest Charme – keine Frage! Aber es entwickeln sich neue Formate und auch beim Veranstaltungsgesetz hat sich einiges verändert. Viele Dinge wären heute in dieser Form gar nicht mehr umsetzbar. Man darf auch nicht vergessen, dass es zu dieser Zeit Kulturveranstaltungen nicht in der heutigen Intensität gegeben hat – vor und nach dem Stadtfest war es relativ ruhig. Heute ist St. Pölten eine pulsierende Mittelstadt, die kulturell in allen Bereichen etwas zu bieten hat, mit dem Festspielhaus, dem Landesstheater, der Bühne im Hof und dem Theater des Balletts vier kuratierte Häuser vorweisen kann und mit dem Frequency eines der größten Festivals in Österreich beherbergt. Im Hinblick auf 2024 dürfen wir auf alle Fälle gespannt sein, welche neue Formate in St. Pölten stattfinden werden.

ZUR PERSON

Alfred Kellner leitet seit 1. Jänner 2021 den Geschäftsbereich V/4 Kultur und Bildung der Landeshauptstadt St. Pölten, ist Lehrbeauftragter an der Anton Bruckner Privatuniversität Oberösterreich und lehrte an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Er absolvierte das Doktoratsstudium an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (Musikwissenschaft, Zweitbetreuung TU-Wien Finanzwissenschaft) und das Betriebswirtschaftsstudium an der Wirtschaftsuniversität Wien. Er war 15 Jahre als geschäftsführender Stadtrat für Finanzen und Kultur in der Stadtgemeinde Traismauer tätig und entwickelte und organisierte über 20 Jahre das Brassfestival Traismauer. Er ist in mehreren Landes- und Bundesgremien im Musikschulbereich tätig. Als Leiter und Lehrer der der Musik- und Kunstschule St. Pölten sowie der Musikschule Traismauer erhielten seine SchülerInnen zahlreiche Auszeichnungen bei Landes- und Bundeswettbewerben.